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Titel
Philipp Albert Stapfer. Minister der Helvetischen Republik und Gesandter der Schweiz in Paris 1798–1803


Autor(en)
Rohr, Adolf
Reihe
Beiträge zur Aargauer Geschichte 13
Erschienen
Baden 2005: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
464 S
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Bossard-Borner Heidi

Ob in Buchform oder als TV-Serie – Lebensbeschreibungen bedeutender Persönlichkeiten haben beim Publikum Konjunktur. Unter den Angehörigen der historischen Zunft dagegen stehen Biographien nicht hoch im Kurs. Dass der biographische Zugang jedoch durchaus Erhellendes zum Verständnis einer Epoche beitragen kann, beweist das Werk, das hier vorgestellt werden soll.

Der Aargauer Historiker Adolf Rohr hat sich seit Jahrzehnten intensiv mit Philipp Albert Stapfer, dem helvetischen Minister der Künste und Wissenschaften und Gründervater des Kantons Aargau, auseinandergesetzt. Zum Zweihundertjahr-Jubiläum der Helvetik 1998 publizierte er den ersten Teil einer grossangelegten Biographie (Adolf Rohr: Philipp Albert Stapfer. Eine Biographie. Im alten Bern vom Ancien régime zur Revolution [1766–1798]. Bern, Peter Lang, 1998, 381 S., Abb.). Das Buch bietet eine ebenso behutsame wie detailreiche Darstellung des Werdegangs des Theologen, Gelehrten und homo politicus und zugleich eine Analyse der intellektuellen und sozialen Einflüsse, die im Spannungsfeld von Ancien Régime und Aufklärung den hochbegabten jungen Mann prägten: das Herkommen aus der in Brugg beheimateten Berner Theologenfamilie und die durch die Mutter vermittelten Beziehungen zur französischsprachigen Schweiz, die Schulen und die Akademie in Bern, wo Stapfer nicht nur seine theologische Ausbildung erhielt, sondern auch die Philosophie Kants rezipierte, die Wanderjahre mit dem Studium an der Universität Göttingen, der Erfahrung der bürgerlich liberalen Atmosphäre Englands und einem kurzen Aufenthalt im revolutionär bewegten Paris des Frühsommers 1791, und schliesslich, nach der Rückkehr nach Bern, die Kontakte zum Zirkel des eigenwilligen Aufklärers Karl Viktor von Bonstetten. Ausführlich gewürdigt werden auch Stapfers Lehrtätigkeit am Politischen Institut – einer Art höheren Schule für Patriziersöhne – und an der Akademie in Bern und seine Bemühungen, in der Verbindung von positivem Christentum und kantischer Philosophie die Grundlage für eine Reform des erstarrten patrizischen Regiments zu schaffen. Ein letzter Teil behandelt den abrupten Wechsel von der akademischen Karriere in die praktische Politik, der im März 1798 nach dem Einmarsch der Franzosen erfolgte, als die provisorische Berner Regierung den Theologieprofessor als Sekretär einer ausserordentlichen Gesandtschaft nach Paris schickte.

Sieben Jahre nach dem ersten Band ist nun die Fortsetzung erschienen, die der helvetischen Periode gewidmet ist. Der Fokus ist ganz auf die amtliche Tätigkeit Stapfers gerichtet. Das Persönliche, das im ersten Band im Mittelpunkt steht, scheint hier höchstens noch zwischen den Zeilen durch. Abgesehen von der Heirat mit Marie-Madeleine Vincens, der Tochter einer begüterten französischen Hugenottenfamilie, und der Geburt der beiden Söhne, bleibt das Privatleben ausgeblendet. Dies hängt, wie der Autor in der Einleitung darlegt, mit der Quellenlage zusammen. Während er beim ersten Band unter anderem auf die Korrespondenz und das Tagebuch aus den «Wanderjahren» zurückgreifen konnte, steht in der Periode 1798–1803 die UÅNberfülle amtlicher Dokumente einem Mangel an privaten Zeugnissen gegenüber, der zusätzlich dadurch verstärkt wird, dass das, was sich an Korrespondenzen mit Freunden und Bekannten erhalten hat, fast ausschliesslich um die Geschicke des helvetischen Staates kreist. Insofern widerspiegelt die Quellenlage die Charakteristik einer Epoche, in der die politische Geschichte in ihrer Ereignisdichte alles andere in den Hintergrund drängte. Streng genommen haben wir es also weniger mit einer Biographie zu tun als mit einer Geschichte der Helvetik aus der Warte eines ihrer Akteure. Erstaunlich ist nun allerdings, wie stark trotz dieser Ausgangslage hinter dem Minister und Gesandten das Individuum Philipp Albert Stapfer Konturen annimmt. Aus dem Wust der helvetischen Akten, die ausgiebig zitiert werden, weht der Reiz einer gewinnenden Persönlichkeit, dem sich die Rezensentin so wenig wie der Biograph entziehen kann. Der wichtigste Grund für dieses Phänomen liegt in der Tatsache, dass in all den amtlichen Schriften, den Gesetzesentwürfen, Weisungen, Reden, Anträgen, Memoranden und Gesandtschaftsberichten, die Stapfer hinterlassen hat, spürbar ist, mit wie viel Herzblut dieser Mann der Helvetik durch alle Irrungen und Wirrungen hindurch verbunden war. Gleichzeitig war Stapfer durchaus nicht blind für die Schwächen, die der konkreten Realisierung der helvetischen Staatsidee anhafteten. Bereits während der ersten Mission in Paris im Frühling 1798 hielt er mit der Kritik an der Ochsschen Verfassung nicht zurück. Und als Gesandter in Paris wurde er in der Periode der helvetischen Verfassungswirren nicht müde, seine Adressaten daran zu erinnern, dass ein Staat, der sich in internen Machtkämpfen aufrieb, dem übermächtigen Nachbarn Frankreich schutzlos ausgeliefert war.

Rohrs umfangreiche, akribisch dokumentierte Studie ist, der Ämterlaufbahn des Protagonisten entsprechend, in zwei Hauptabschnitte geteilt. Der erste befasst sich mit der Amtstätigkeit des «Ministers der Wissenschaften, Künste, Gebäude, Brücken und Strassen» und könnte unter dem Motto «Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit» stehen. Die kühnen Pläne, mit denen Stapfer sein Konzept einer Nationalkultur als Medium der Volkserziehung zum Zwecke der Schaffung und Förderung des «esprit public» umsetzen wollte, reichten von einem Büro für Nationalkultur über eine Nationalbibliothek, ein Nationalarchiv und Nationalmuseum bis zur dreisprachigen Zentraluniversität. Die Umsetzung solcher Höhenflüge konnte angesichts von politischen Querelen, Krieg und chronischer Geldnot nicht über bescheidene Anfänge hinaus gedeihen. Stapfers Verdienst war es, dass er im Überschwang der Visionen den Blick für das nicht verlor, was zugleich notwendig und machbar war, und sich mit grossem Engagement um die Verbesserung des Elementarunterrichts kümmerte.
Ausführlich zur Sprache kommt Stapfers Funktion als Kultusminister, in der er für das Verhältnis des Staates zu den Kirchen zuständig war. In seiner Funktion als Minister betrachtete der Theologe, der gläubiger Christ und Kantianer in einem war, die Religion primär unter dem Aspekt der Volksbildung. Als «Moralreligion» sollte sie ihre Beitrag zur sittlichen Veredelung der Menschen leisten. In diesem Sinne relativierte Stapfer die kirchenfeindlichen Tendenzen, die der helvetischen Verfassung eigen waren, und warb um das Vertrauen und die Unterstützung der «Religionsdiener». Im Gegenzug war es seiner Meinung nach die Pflicht des Staates, für den Unterhalt der Geistlichen zu sorgen, die durch die Aufhebung der Zehnten ihre Einnahmen verloren hatten. Dass seine Bemühungen von Seiten der Geistlichkeit nicht anerkannt wurden und dass namentlich sein ehemaliger Lehrer, Kollege und Freund Johann Samuel Ith ihn als Helfershelfer beim Werk der Zerstörung des Christentums diffamierte, verletzte ihn tief.

Ein Erholungsurlaub in Frankreich, den Stapfer, verbittert über die Angriffe aus kirchlichen Kreisen, im Sommer 1800 antrat, leitete das Ende seiner Tätigkeit als Minister ein. Der Abgang war nicht geplant, doch wird aus Rohrs Darstellung ersichtlich, dass Stapfer in seinem Amt keine Perspektiven mehr sah und deshalb wohl nicht ungern eine neue Aufgabe übernahm, zumal in Paris, wo die Familie seiner Frau zu Hause war. Noch vor der Abreise war Stapfer mit einer diplomatischen Mission betraut worden; er sollte bei der französischen Regierung für den geplanten republikanischen Staatsstreich vom 7. August 1800 werben. In Paris übernahm er zunächst die Stellvertretung des amtsmüden Gesandten Jenner und wurde dann im Dezember 1800 definitiv zum Gesandten ernannt. Auf diesem Posten diente Stapfer dem helvetischen Staat bis zum bittern Ende mit ungebrochener Loyalität – immer bestrebt, die Integrität der schweizerischen Nation gegen das Machtspiel Napoleon Bonapartes zu verteidigen und zugleich an der Heimatfront seine unitarischen Gesinnungsgenossen im Widerstand gegen die föderalistisch-reaktionären Tendenzen zu stärken. Die ebenso heiklen wie nervenaufreibenden Verhandlungen, die der helvetische Gesandte mit Talleyrand und Bonaparte führte, sind in der Biographie umfassend dokumentiert, ebenso sein Einsatz an der Consulta, wo er als eine Art Koordinator und Konferenzsekretär fungierte und zugleich die Interessen der neuen Kantone Aargau und Thurgau vertrat. Nachdem die Mediation in Kraft getreten war, übernahm Stapfer schliesslich noch auf Bonapartes ausdrücklichen Wunsch das Präsidium der Liquidationskommission, die die helvetische Staatsschuld bereinigen musste.

Adolf Rohr beschliesst seine detaillierten Ausführungen über die Tätigkeit des Ministers und des Gesandten mit einem kurzen Ausblick auf die Jahre 1803 bis 1840, die Stapfer als Privatmann und Gelehrter in Frankreich verbrachte. Es ist zu hoffen, dass sich der Biograph dieser Periode, in der Stapfer als «Schweizer von europäischem Format» (Albert Portmann-Tinguely) einen weitgespannten Bekannten- und Freundeskreis pflegte, noch in vertiefter Form widmen und dann auch ausführlich auf Stapfers Einsatz zur Erhaltung des Kantons Aargau 1814 eingehen wird.

Wie schon im ersten Band der Biographie wird die beschreibende Darstellung durch den Abdruck wichtiger Quellentexte ergänzt. Willkommene Dienste leisten zudem eine Zeittafel sowie ein Orts- und Personenregister.

Zitierweise:
Heidi Bossard-Borner: Rezension zu: Adolf Rohr: Philipp Albert Stapfer. Minister der Helvetischen Republik und Gesandter der Schweiz in Paris 1798–1803 (Beiträge zur Aargauer Geschichte Bd. 13). Baden, hier + jetzt, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 2, 2006, S. 211-214.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 2, 2006, S. 211-214.

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